Kapitel 1
Mit einem blutigen Schmatzen zog ich das Kurzschwert aus dem Bauch meines Gegenübers. Meines Opfers, das mit weit aufgerissenen Augen in meine starrte. In ihnen erkannte ich ein letztes Flehen, ein leises Betteln, mit dem der Mann mich noch wenige Sekunden zuvor angewimmert hatte, wie ein kleines Hündchen. Er sei doch so unschuldig. Hätte doch nichts getan, aber niemand, wirklich niemand konnte mich täuschen. Gerade dann nicht, wenn ich über jede Grausamkeit und Brutalität ihrer Taten im Bilde war. Dazu brauchte es nur einen Blick in ihre Augen und ich spürte, dass sie einem anderen Leben oder mehreren viel Leid angetan hatten.
Niemand konnte mir etwas vormachen. Dazu war ich zu gut ausgebildet. Jahrelang und schmerzvoll, um das zu tun, wozu ich geboren war.
Zum Töten.
Das war meine Bestimmung. Mein Schicksal, wenn man es so sagen wollte. Lange hatte ich nach einem Sinn in meinem Leben gesucht und an dem Tag, als die schwarzhaarige Frau an die Haustür meines Elternhauses geklopft hatte, um mir ein Angebot zu machen, das die meisten Menschen sicherlich sofort ausgeschlagen hätten, hatte ich zugestimmt. Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken.
Es hatte sich in diesem Moment einfach richtig angefühlt. Als hätte jemand mit dem Finger geschnippt und die Welt zu einer anderen geformt. Dabei war ich diejenige, die ihr Leben komplett neu geordnet hatte.
Über Nacht floh ich aus meiner alten Heimat, ließ alles und jeden hinter mir. All die Erinnerungen an meine verstorbenen Eltern, meinen Bruder, an Menschen, die mir jeden Tag begegnet waren. Und meinen Namen. Meinen Geburtsnamen. Aber das tat ich nicht wirklich freiwillig. Es war eine Art Gesetz eines jeden Auftragskillers, seine wahre Identität der Vergangenheit zu überlassen. An meinen wahren Namen konnte ich mich nicht mehr erinnern. Zu tiefgreifend waren die vielen Gehirnwäschen und das harte Training an der Akademie gewesen. Sie hatten brillante Arbeit geleistet, aus dem Bauernmädchen von nebenan die meist gefürchtetste Auftragskillerin des Kontinents Lyria zu machen. Sie wie einen rohen Diamanten zu schleifen, ihre Seele immer wieder zu brechen, bis sie nichts anderes fühlen konnte, als den Drang zu töten. Immer besser werden zu wollen, in dem, was sie tat. Wie ein Phönix war ich aus der Asche gestiegen, nachdem meine Ausbildung vollendet war. Seitdem trug ich den Namen Vika. Einfach Vika. Kein Geplänkel danach, kein Hoheitstitel, wie man vielleicht erwartet hätte. Vier einfache Buchstaben reichten, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen.
An die eingeschüchterten Blicke und das leise Tuscheln um mich herum hatte ich mich schnell gewöhnt. Sollten sie ruhig glauben, dass ich im nächsten Moment ihren Kopf abriss, wenn sie auch nur ein falsches Wort sagten oder mir einen inakzeptablen Blick zuwarfen. Auch, wenn das nicht in meiner Macht stand. Unschuldige Menschen aufgrund von Banalitäten zu töten, wurde in meinen Kreisen mit dem eigenen Tod bestraft.
Aber die Gerüchte über uns Auftragskiller halfen dabei, dass die Menschen sich an Regeln und Gesetze hielten. Und, dass man uns in Ruhe ließ. Niemand wollte wissen, was genau auf einer Akademie vonstattenging. Die quälenden Schreie aus der Ferne reichten den Bewohnern der Länder von Lyria, um erahnen zu können, welche Methoden bei unserer Ausbildung angewendet wurden. Ganz besonders die Gelehrten der fianischen Akademie waren für ihre harten und menschenunwürdigen Methoden bekannt.
Ich sah dabei zu, wie der Körper des Mannes auf den Boden fiel. Sein Kopf kam dabei mit einem Knacken auf den Steinen auf, sodass sich eine Blutlache unter ihm ausbreitete. Zufrieden holte ich ein Tuch aus meiner Jackentasche und säuberte die Klinge meines Schwertes. Dass ich dabei mit größter Genugtuung zusah, wie das rote, dickflüssige Blut das saubere Tuch beschmutzte und mir ein unbeschreibliches Gefühl der Befriedigung bescherte, ließ ich niemanden sehen. Mein Gesicht lag verborgen unter der schwarzen Kapuze meiner Jacke und war bis zu den Augen mit einer Maske in ebenfalls dieser Farbe bedeckt. Doch auch ohne Details zu sehen, erkannten die Menschen, die mich in der kleinen, dreckigen Gasse stehen sahen, wer ich war und eilten mit gesenkten Köpfen um die nächste Häuserecke. Meine schwarze Kluft mit den goldenen Applikationen an Saum und Ärmeln verriet es ihnen. Nicht gerade unauffällig, aber ich hinterfragte es nicht. Unter meiner Maske fühlte ich mich beschützt, obwohl ich keine Angst vor irgendetwas haben brauchte. Niemand wollte mir zu nahe kommen. Niemand dachte daran, überhaupt einem Absolventen aus der Akademie in die Augen zu schauen. Aus Angst, wir könnten ihrem Leben den Garaus machen.
Meine Kleidung gehörte einfach dazu. Zu meinem Leben, zu meiner Persönlichkeit, zu meiner Seele, vor deren Abgründe selbst ich manchmal Furcht verspürte.
Ich steckte mein Schwert wieder zurück in die Scheide auf meinem Rücken. Der goldene, polierte Griff glänzte im Schein der Sonne, die ihre Strahlen ausbreitete, um auch ja jeden dunklen Zentimeter des Landes gänzlich einzunehmen. In der Tat war es ein wirklich unpassender Tag für einen Auftrag, denn seit Ewigkeiten zeigte sich die Sonne wieder über Fia. Fia bedeutete nicht umsonst Land des dunklen Friedens, denn an den meisten Tagen des Jahres herrschte eine trübe Stimmung. Graue Wolken bescherten uns Regen und Stürme. Aber trotz dieser Tatsachen lebten die Menschen in rührender Glückseligkeit. Sie waren froh, ein Teil des Landes zu sein und nicht an einem anderen, dunkleren und gefährlicheren Ort des Kontinents zu leben. Denn davon gab es einige.
Brent und Moirath. Deren Namen allein schon eine Gänsehaut über jeden Körper schickten, auch wenn man die beiden Länder nie zuvor gesehen hatte. Aber die Erzählungen der Gelehrten oder die Geschichten, die sich auf den Straßen zugeraunt wurden, reichten, um nie freiwillig einen Fuß über die Grenzen zu setzen.
Brent war das Land der steinigen Riesen. Gebirge, die bis in die Wolken hineinragten und nicht enden wollten. Ihre Täler und Höhlen lagen verborgen in dunklen Schatten, von denen man sich erzählte, Hexerei habe sie erschaffen. Und jeder Mensch, der sich auch nur in ihre Nähe traute, wurde von uralten Kreaturen auf brutale Art und Weise ausgeweidet. So etwas wie Magie oder Hexerei gab es jedoch nicht, daher zweifelte ich an dem Wahrheitsgehalt dieser Geschichte. Aber auch in mir sträubte sich etwas, wenn ich diesen Namen hörte. Zum Glück musste ich nie die Grenze zwischen Fia und Brent überqueren, um einen Auftrag auszuführen, denn niemand lebte in dem steinigen Gebirge. Es existierte vielleicht nur der Glaube an das Land selbst. Und natürlich die unbestreitbare Tatsache, dass es Brent wirklich gab, denn die gefährlichen Berge erkannte man schon von Weitem.
Anders war es mit Moirath. In dem Land der wilden Wälder lebten tatsächlich Menschen. Ausgestoßen von jeder Zivilisation. Vertrieben aus ihren Heimatländern, um ein Leben zwischen Moos, Bäumen, Feuchtigkeit und dem reinen Nichts zu führen. Einmal musste ich den Enya überqueren, einen breiten, gigantischen Fluss, der den Kontinent in zwei Hälften teilte, um nach Moirath zu gelangen. Mein Auftrag lautete, dort eine Mutter von zehn Kindern hinzurichten. Wieso, weshalb, warum? Bis heute hatte ich keinerlei Information darüber. Töte sie und bringe uns ihr Herz. Mehr durfte ich nicht erfahren. Und mehr Worte benötigte es auch nicht, damit ich einen Auftrag ausführte. Ich empfand es sogar als ganz erfrischend, nicht den Hintergrund meiner Taten verstehen zu müssen, denn dann wäre vermutlich jede Ausbildung in der Akademie umsonst gewesen. Wir durften keine Gefühle zeigen, nicht einmal fühlen, wenn wir einen Auftrag ausführten. So waren mir die weinenden Kinder gleichgültig, die mitansehen mussten, wie ich ihrer Mutter zuerst die Kehle aufschlitzte, um dann später ihr Herz aus der Brust zu reißen. Blutend hatte ich sie zurückgelassen. War einfach aus dem Haus marschiert, als wäre es alltäglich. Obwohl, das war es in der Tat. Das Töten bestimmte meinen Alltag. Machte mein Dasein aus. Gab mir einen Sinn zu existieren. Es war meine Bestimmung.
In Windeseile war ich damals aus den dunklen Wäldern von Moirath zurück nach Fia geeilt. Die drückende Feuchtigkeit hatte sich schwer auf meine Brust gelegt.
Siedlungen oder sogar ganze Dörfer fand man in diesem Land nicht. Nur einzelne Häuser, halb versunken zwischen Bäumen und Büschen. Meist mit so viel Moos bewachsen, dass man glauben könnte, es lebten Tiere darin.
Auch über das Land der wilden Wälder flüsterte man sich Geschichten auf den Straßen zu. Als würden die Verstoßenen nicht schon genügen, um zu verstehen, dass man in diesem Land nicht freiwillig lebte. Dass man dorthin verbannt wurde, um schlussendlich in Einsamkeit zu sterben.
Ich ließ den viel zu gut angezogenen Mann einfach in der Gasse liegen. Er besaß irgendeinen hoheitlichen Titel, der aber genauso in meine Vergessenheit geraten war, wie die Frage, was ich heute zum Frühstück gegessen hatte. Im Grunde genommen war es mir egal, wer er war, wie er hieß, wo er lebte oder warum er sterben musste. Es war ein lukrativer Auftrag, den ich gerne annahm. Nicht, dass ich nicht schon genug Goldmünzen in meinem Zuhause hortete, aber auch die bekannteste Auftragskillerin durfte eine Leidenschaft zum Sammeln hegen.
Immerhin blieb ich trotz meiner Taten ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ohne Gefühle, aber immerhin mit einem Herzen in der Brust. Was man von der Frau aus Moirath nicht mehr behaupten konnte.
Eine dicke schwarze Strähne meiner Haare fiel mir ins Gesicht, als ich mich nach vorn beugte, um das kleine goldene Wappen von Fia in Form einer Münze auf den Brustkorb des toten Mannes zu legen, damit jeder wusste, durch wessen Hand er gestorben war.
Als ich dem leblosen Körper meinen Rücken zudrehte, die Haarsträhne wieder zurück an ihren Platz unter meiner Kapuze steckte und die nächste Häuserwand hinaufkletterte, erreichten die hereinfallenden Sonnenstrahlen soeben die kleine Goldmünze, die im Licht wunderschön funkelte. Die drei ineinander verschlungenen Kronen darauf waren nichts weiter als ein heller, leuchtender Punkt in einer verlassenen Gasse, für den sich niemand in diesem
Moment interessierte.
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