Kapitel 2
»Das ist nicht dein verdammter Ernst, Tash!« Es fiel mir äußerst schwer, halbwegs ruhig zu bleiben, am liebsten hätte ich den blonden jungen Mann, der lässig auf der anderen Seite des dunklen Tisches lehnte, angebrüllt.
Tash lächelte, doch in seinen Augen blitzte es boshaft. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, warum sich meine Mutter damals ausgerechnet ihn als Schwiegersohn gewünscht und ihn sogar in die Heilkunst eingeweiht hatte. Nur weil seine Familie ein dämliches Haus hier am Hafen besaß?
Mit Mühe unterdrückte ich ein abfälliges Schnauben. Sie würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüsste, dass er sein Heilerwissen nutzte, um die Hafenbewohner auszunehmen. Ich konnte nur dankbar sein, dass sie meinen Willen, diesen Mistkerl nicht zu heiraten, letztendlich akzeptiert hatte – zwar mit Tränen in den Augen, aber immerhin.
Ein leises Seufzen entwich meinen Lippen, bevor ich es verhindern konnte. Eigentlich ein Laut der Erleichterung, aber Tash schien das fehlzuinterpretieren.
»Ach, Valea«, sagte er übertrieben sanft und beugte sich zu mir herüber. Der Geruch von Sandelholz stieg mir in die Nase. Ein Duft, den ich früher geliebt hatte, heute aber dank Tash verabscheute.
»Ganz ehrlich, du hast nicht wirklich geglaubt, dass du damit«, er deutete mit einem kurzen Kopfrucken auf meine Edelsteinsplitter, die zwischen uns auf dem Tisch lagen, »allen Ernstes deine ganze Bestellung ordern kannst.«
»Nein«, sagte ich gezwungen ruhig und versuchte, den tadelnden Tonfall in seiner Stimme zu ignorieren. Er versuchte, mich wie ein kleines Mädchen zu behandeln, das dumm und einfältig war, damit er sich mächtiger fühlte. Ich würde mich auf dieses Spiel nicht einlassen. Ich würde nicht bockig werden.
»Das ist mir klar. Dennoch ist der genannte Preis eine Zumutung. Ich bestelle fast immer das Gleiche und du verlangst heute beinahe das Doppelte.«
»Selbst beim üblichen Preis hättest du schlechte Karten.« Er warf einem abschätzigen Blick auf die roten und blauen Kristallsplitter.
Ich presste wütend die Zähne aufeinander. Musste Tash sich denn ausgerechnet jetzt in dem dunklen Lager am Ende der Markthalle aufhalten, um irgendwelche Überprüfungen durchzuführen? Wo war William, der eigentliche Warenverwalter?
»Deswegen habe ich dich gefragt, ob noch irgendetwas auf Lager ist, was ich günstig abkaufen kann«, sagte ich und wischte mit dem Finger den Staub von der kleinen Öllampe, die unsere beiden Gesichter nur dürftig erhellte.
»Warum sollte ich dir Waren billiger verkaufen?«
»Weil sie alt sind, Tash. Also?«
»Nein. Es ist absolut nichts mehr von deinem gewünschten Grünzeug oder von deinen Glibbertränken da. Wir müssten alles neu ordern«, gab er zurück, ohne sich die Mühe zu machen, auf einer der zahlreichen Listen nachzuschauen. Vermutlich, weil er nicht wusste, wo er die relevanten Informationen überhaupt finden würde. Ich konnte ein Augenrollen nur mit allergrößter Mühe unterdrücken. Das konnte eine anstrengende Diskussion werden.
Ich wollte gerade noch einmal versuchen, mit meinem schlaksigen Gegenüber zu verhandeln, als ich draußen gedämpfte Rufe hörte. Ich spitzte die Ohren. Doch das Lager war von dicken, massiven Steinwänden umgeben, die fast alle Geräusche von außen abfingen.
Tash schien sich an den Rufen nicht zu stören, sondern konzentrierte sich ganz auf mich.
»Ach, kleine Valea«, sagte er fast mitleidig. »Das muss hart sein.«
»Was?«, fragte ich ärgerlich.
»Na, …«, begann er, doch er wurde von einem Schrei unterbrochen, der so laut war, dass nicht einmal die dicken Wände ihn davon abhalten konnten, zu uns durchzudringen.
Unruhe machte sich in mir breit. Was war da draußen los?
Offensichtlich war Tash nun auch abgelenkt. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, kam er hinter dem Tresen hervor, durchmaß den Raum bis zur Tür mit wenigen Schritten und riss das schwere Holzportal schwungvoll auf.
Augenblicklich wurden die Geräusche lauter. Ich hörte Rufe, ein sonderbares Klingen und Knallen, konnte es aber nicht zuordnen.
Rasch sammelte ich meine Edelsteinsplitter zusammen und ließ sie wieder in meine Umhängetasche gleiten, bevor ich Tash folgte. Als ich durch die Markthalle rannte, klatschten meine nackten Füße auf den kalten Stein und das Geräusch hallte unangenehm von den hohen Wänden wider.
Die Rufe wurden lauter und ich konnte die Panik draußen ganz deutlich wahrnehmen. Irgendetwas war passiert. Ein Unfall. Ein Brand? Zum Glück waren wir direkt am Wasser. Brände bei uns im Shubdorf wären weitaus schlimmer. Aber vielleicht war es auch etwas anderes? Nicht, dass wieder eines der maroden Gebäude zusammengestürzt war!
Während ich meine Schritte beschleunigte, ging ich im Kopf durch, wie viele und vor allem welche Salben und Kräuter ich mitgenommen hatte. Welche Verletzungen ich damit würde heilen können. Ich riss das Portal auf, das hinter Tash schon längst wieder zugefallen war und sprintete hinaus auf den Kai. Für einen winzigen Moment war ich vollkommen verwirrt. Es herrschte ein solches Durcheinander, dass es mir schwer fiel, mich zu orientieren.
»Piraten«, brüllte eine angsterfüllte Stimme hinter mir. Ich erstarrte. Das konnte nicht sein, oder? Langsam drehte ich mich um. Das große Segelschiff am hinteren Ende des Kais sprang mir förmlich ins Auge. Mein Atem und mein Herzschlag beschleunigten sich. Ich begann zu zittern und versuchte mich in dem irren Gewusel, das um mich herum herrschte, zurechtzufinden.
Piraten! Panik stieg in mir auf und lähmte mich, während Menschen an mir vorbeirannten, mich anrempelten und sich von dem Schiff entfernten. Von diesem großen Schiff mit der unheilverkündenden schwarzen Flagge, die soeben gehisst wurde.
Ich schnappte nach Luft. Mir wurde schwindelig. Ich sah die fremden Männer mit ihren schwarzen, schäbigen Stiefeln, mit ihren dunklen Westen, ihren roten Tüchern, mit Metallringen in Nase und Ohr, mit den dicken Totenkopfketten und den rostigen Säbeln. Sie kamen direkt auf mich zu, brüllten, johlten, lachten. Und immer noch konnte ich mich nicht bewegen, konnte nichts denken, als …
Valea. Lauf! Lauf, mein Mädchen, und dreh dich nicht um. Die Worte meines Vaters hallten durch meinen Kopf und endlich kam Bewegung in meine erstarrten Glieder, ich fuhr herum und stürmte davon. Spitze Steinchen bohrten sich in meine Füße, doch ich ignorierte den Schmerz. Der Stoff meines Kleides schlug um meine Beine. Mit einer gekonnten Bewegung raffte ich ihn hoch und rannte noch schneller. Ich musste weg von der Markthalle und dem Lager. Sicherlich würde das ihr Anlaufpunkt sein. Was sollten sie sonst plündern? Also einfach weg, am besten auch vom Wasser.
Ich bog nach links ab, um zwischen zwei Häusern zu verschwinden.
»Oh, hallo, Hübsche«, sagte der breitschultrige Mann, der sich mir in den Weg stellte, und funkelte mich an.
Ich schrie auf, wirbelte herum und rannte wieder Richtung Kai. Nicht die beste Wahl, denn ich landete direkt im Pulk der schreienden und flüchtenden Hafenbewohner.
Ich nahm die nächste Querstraße und verschwand darin. Hier war es bedeutend leerer. Ich machte noch zwei Sätze vor und presste mich schließlich in einen geschlossenen Hauseingang.
Mein Herz hämmerte wild. Ich schnaufte. Schweiß lief mir über das Gesicht und ich verfluchte diese enorme Hitze.
Ein hoher Pfiff ließ mich zusammenfahren und ich presste mich noch fester an die Tür. Ob ich klopfen sollte, damit mich jemand einließ und ich mich verstecken konnte? Aber wer würde jetzt schon öffnen? Egal, ich musste es versuchen. Erst vorsichtig, dann immer heftiger trommelte ich von Verzweiflung getrieben mit den Fäusten gegen das Holz.
»Hallo? Aufmachen. Bitte!«
Doch wie ich erwartet hatte, reagierte niemand.
Vorsichtig beugte ich mich vor und linste um die Ecke. Hatte ich durch mein Rufen jemanden angelockt? Die kleine Straße, in die ich abgebogen war, war immer noch verlassen, und auch der Kai selbst schien jetzt leer. Natürlich, die meisten versteckten sich nicht einfach irgendwo, sondern rannten direkt zu ihren Häusern, um sich hinter den schützenden Türen zu verbarrikadieren.
Ein Schrei gellte durch die Straßen und die Panik in mir kehrte umgehend zurück. Ich lehnte mich wieder gegen die Tür, schloss kurz die Augen und versuchte, mich zu beruhigen.
Lange konnte ich mir meine Verschnaufpause nicht mehr leisten. Was, wenn diese Barbaren doch durch die Nebenstraßen tigerten und mich fanden? Ich atmete noch einmal tief ein und aus, trat wieder aus dem Hauseingang und wandte mich in die dem Kai entgegengesetzte Richtung. Während sich meine Füße automatisch in Bewegung setzten, ging mein Kopf in rasender Geschwindigkeit sämtliche Wege durch.
Irgendwo klirrte es. Da, noch einmal!
Ich hatte kaum Möglichkeiten, wurde mir bewusst, während ich nach rechts abbog. Die Häuser am Kai zogen sich in mehreren Reihen am Wasser entlang, dahinter kamen direkt die Klippen und es gab nur wenige Pfade hinauf – keiner davon bot Sichtschutz. Aber was hatte ich für eine Wahl?
Ich rannte. An der nächsten Kreuzung hielt ich mich links, um zu den steilen Felsen zu gelangen. Jemand kreischte und das Geräusch hallte in meinen Ohren nach. Ich fuhr herum und erstarrte.
Am Ende des Weges saß eine Frau auf dem Boden, ihre Augen angstvoll auf einen der Piraten gerichtet, der sich ihr grinsend näherte.
Er musste etwa fünfzig sein. Sein von grauen Strähnen durchzogenes, fettiges Haar fiel ihm auf die breiten Schultern. Sein dreckiges Hemd steckte im Bund einer zerrissenen beigen Hose und an seinem schwarzen Gürtel baumelten allerlei silberne Ketten. Was meinen Blick aber vor allem anzog, war das kurze Schwert, das er in der Hand hielt.
Die Frau auf dem Boden kroch zurück und prallte mit dem Rücken gegen die Hauswand. Der Pirat folgte ihr – langsam, als hätte er alle Zeit der Welt. Sacht drehte er das Schwert in der Hand, prüfte das Gewicht und fuhr mit dem Daumen über die Klinge. Sein raues Lachen hörte ich selbst auf die Entfernung.
Ich zögerte, sah nach links zu den Klippen. Nur wenige Meter trennten mich von dem Stein. Ich könnte jetzt einfach hinter dem angrenzenden Haus verschwinden und mit Glück ungesehen den nächsten Pfad hinaufhuschen. Ich wandte mich um.
Die Frau am anderen Ende des Weges stieß einen weiteren Schrei aus, gefolgt von einem Wimmern. Mein Inneres schien zu Eis zu gefrieren, als ich mich einen weiteren Schritt von ihr entfernte, um mich selbst in Sicherheit zu bringen. Trotz der Hitze wurde mir kalt. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so viel Angst verspürt hatte. Ich musste hier endlich weg.
Aber ich konnte nicht.
Mein Verstand schrie, wollte, dass ich mich versteckte, doch mein Herz hielt dagegen. Ich musste helfen. Nie würde ich es mit meinem Gewissen vereinbaren können, wenn ich jetzt einfach verschwand.
Ich gestattete mir keine weiteren Gedanken, sondern drehte mich um und rannte so schnell ich konnte den Weg zurück, auf den großen Mann zu, der sich langsam über die weinende Frau beugte. Was hatte er mit ihr vor? Wollte er sie töten? Einfach so?
Ich machte einen großen Satz vor und stieß mit den Händen so kraftvoll wie möglich gegen die Schulter des Mannes.
Zu meiner eigenen Überraschung taumelte er tatsächlich, suchte nach Halt, knickte auf dem holprigen Boden um und fiel.
Verzweifelt versuchte ich, einen rettenden Schritt zu machen, merkte aber sofort, dass ich es nicht schaffen würde, mein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Ich stürzte ebenfalls nach vorn.
»Lauf«, rief ich der Frau noch zu, dann landete ich mit der Schulter auf dem harten Boden. Schmerz durchzuckte meinen Arm. Keuchend rollte ich mich auf den Rücken. Eine Sekunde lang starrte ich schwer atmend in den wolkenlosen Himmel und versuchte zu begreifen, was ich gerade getan hatte. Dann schenkte ich endlich meinem Verstand Gehör, der immer noch so schnell wie möglich von hier verschwinden wollte. Ich rappelte mich auf, doch in diesem Moment legte sich eine Hand schwer auf meinen Brustkorb und presste mich grob zurück auf den Boden. Ich stieß ein erschrockenes Krächzen aus, wand mich unter dem Griff und langte nach dem Arm des Piraten. Mit allen Mitteln versuchte ich, mich zu befreien. Ich trat nach ihm. Doch er kniete sich auf meine Oberschenkel. Sein Gewicht verursachte mir Schmerzen und ließ meine Beine sofort kribbeln, als die Blutzufuhr unterbunden wurde. Ich stöhnte.
Er lachte kurz und kam mit seinem Gesicht meinem ganz nah. Ruckartig drehte ich den Kopf weg. Sein warmer, übel riechender Atem streifte mich und seine strähnigen Haare kitzelten meine Wange.
Ich presste meine Hände gegen seine Schultern und versuchte, ihn von mir wegzuhalten.
»Man mischt sich nie, niemals in die Pläne von Obscir ein«, zischte er und sah mich mit einer Mischung aus Wut und Vorfreude an.
»Lass mich los«, keuchte ich. Das Sprechen fiel mir schwer, sein Gewicht auf meinem Brustkorb war beinahe unerträglich.
»Hm«, machte er und schien kurz zu überlegen. »Nein.« Als er grinste, entblößte er seine gelblichen Zähne. Ich verstärkte meinen Druck gegen seine Schultern, bohrte meine Fingernägel in seine Haut, doch selbst das störte ihn nicht. Unbeirrt hielt er mich weiter fest und betrachtete mich eingehend.
»Ist heute nicht ein schöner …«, begann er.
»Gesichert. Zurück an Bord«, brüllte eine Stimme in unserer Nähe und Obscir knurrte ärgerlich.
Urplötzlich wallte Hoffnung in mir auf. Er würde gehen. Er würde jetzt gehen. Obwohl ich nicht mehr an die alten Götter glaubte, begann ich zu beten.
Er schien zu überlegen und ließ tatsächlich von mir ab.
Erleichterung durchfuhr mich, ich krabbelte so schnell ich konnte von ihm weg und rappelte mich auf. Meine Finger gruben sich Halt suchend in den Gurt meiner Umhängetasche und ich setzte zum Spurt an.
In diesem Moment packte er mich und riss mich an sich heran. Ein erschrockener Laut entfuhr mir.
»Zu schade zum Liegenlassen.« Der bösartige Unterton in seiner Stimme jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken.
»Nein«, hauchte ich bestürzt. Mit aller Kraft warf ich mich zur Seite, um mich aus seinem Griff zu befreien. Er hielt mich fest und drehte mir die Arme auf den Rücken. Ich schrie vor Schmerz auf.
»Halt den Mund«, fuhr er mich an und zog ein dünnes, geflochtenes Band aus seiner Tasche. In Sekundenschnelle hatte er mir die Hände gefesselt.
Trotzdem dachte ich nicht daran, aufzugeben. Ich brüllte und warf mich nach vorn. Erfolglos. Plötzlich packte er mit der freien Hand mein Gesicht, presste mit den Fingern gegen meine Wangen und stopfte ein Stück Stoff in meinen Mund. Entsetzen breitete sich in mir aus.
»Mmmh, mmmh«, machte ich so laut ich konnte und versuchte, das Zeug aus meinem Mund zu bekommen. Ein säuerlicher Geschmack breitete sich auf meiner Zunge aus.
»Du bist zwar hübsch, aber zu laut«, sagte er genervt.
»Obscir!«, brüllte jemand.
»Ja, ja. Komme.«
Als wäre ich nicht mehr als ein nasser Sack, hob der Pirat mich hoch und warf mich über seine Schulter. Verzweifelt und mit letzter Kraft versuchte ich, ihm meine Knie in den Brustkorb zu rammen, doch seine Hände hielten meine Waden fest und machten jede Bewegung meinerseits zunichte.
Gemächlichen Schrittes ging er am Hafen entlang. Ich sah die Pflastersteine unter mir, die sich schief und krumm über den Kai zogen. Mir war vollkommen klar, auf welches Ziel wir gerade zusteuerten. Tränen stiegen mir in die Augen und die Angst ließ mich fast ohnmächtig werden. Ich wollte endlich aus diesem furchtbaren Albtraum aufwachen. Mein ganzer Körper zitterte so heftig wie die Zeltplanen bei einem Sandsturm. Dem Mann namens Obscir schien das nicht aufzufallen. Oder er ignorierte es ebenso wie das Baumeln meiner Umhängetasche, die ihm regelmäßig gegen die Beine schlug.
Wir näherten uns dem Ende des Kais. Vielleicht würde mir ja noch jemand zur Hilfe eilen. Vielleicht hatte die fremde Frau, die ich gerettet habe, jemanden benachrichtigt. Vorsichtig drehte ich den Kopf, doch der Hafen war mittlerweile wie ausgestorben und ich wusste, dass auch niemand mehr kommen würde.
Gleich mussten wir das Schiff erreichen. Das Schiff, das ich so sehr fürchtete, mit Menschen, die ich zutiefst verabscheute. Nun mehr denn je.
Ich sah, wie sich die schäbigen Stiefel von Obscir am Rand der kleinen Kaimauer entlang bewegten. Durch meine langen Haare erhaschte ich immer wieder einen Blick auf das glitzernde blaue Nass, das gegen den grauen Stein schwappte.
Plötzlich hielt er an einem der mächtigen Poller inne und ließ mich zu Boden gleiten. Bevor meine Füße den harten Untergrund berührten, wurde sein Griff an meinem Arm wieder so fest, dass ich keine Chance hatte, wegzulaufen. Trotzdem versuchte ich es. Auch dieses Mal blieb Obscir davon vollkommen unberührt. Er zückte sein Schwert und sofort verharrte ich regungslos. Mein Herz klopfte noch schneller und irgendwo, ganz weit hinten in meinen Gedanken, wunderte ich mich darüber, dass das überhaupt möglich war. Ich fixierte die Klinge. Obscir lachte unangenehm.
»Wenn du keine Bekanntschaft mit Blair machen willst, hältst du jetzt mal still«, sagte er grinsend. Er beugte sich vor, löste das dicke Tau vom Poller und warf es Richtung Schiff. Starr beobachtete ich, wie das Ende auf der Wasseroberfläche aufschlug und ganz langsam sank. Ich war nicht sicher, ob eine Bekanntschaft mit der Klinge nicht besser war als alles, was mich jetzt noch erwarten würde, und trotzdem wagte ich es nicht mehr, mich zu rühren.
Mein entsetzter Blick glitt an der Leine entlang, hoch zu dem Schiff. Den Geräuschen nach zu urteilen, herrschte oben reger Betrieb, doch von hier unten konnte ich keine weiteren Personen sehen. Zwei Masten streckten sich in den Himmel und auf einem thronte die schwarze Flagge. Mein Magen zog sich unangenehm zusammen.
Unweit der Stelle, an der ich stand, führte eine lange Holzplanke zu dem sanft schaukelnden Schiff, und weiter vorn am Bug prangte der unheilverkündende Name. Ich konnte ihn von hier aus nicht sehen, aber ich hatte genügend Geschichten gehört, um ihn zu kennen: Deamaar.
Plötzlich packte Obscir mich wieder, hob mich hoch und ging zu der Planke. Ich sah das schmale Holzstück unter mir und hörte es leise ächzen, als Obscir mit mir das Schiff erklomm.
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