top of page

Leseprobe zu Von Schatten und Seelen

 

 

Kapitel 1

Seine Seele leuchtet im herrlichen Orange der Furcht. Wie überaus erfreulich.

Aus dem Augenwinkel heraus betrachte ich den Mann, der nun endgültig hinein in mein dunkles Stübchen tritt und zögerlich die Tür hinter sich schließt.

Er hüstelt und zieht sich den Hut vom schütteren Haar. »Bitte verzeiht die Störung«, flüstert er kaum hörbar. Obwohl das schummrige Kerzenlicht den Raum nur schwach erhellt, erkenne ich, wie sich seine Finger um die Krempe der Kopfbedeckung verkrampfen. Immer dasselbe.

Ich fahre meine geschärfte Sicht zurück und mustere das Äußere des Mannes mittleren Alters, der sich achtsam an einer Vielzahl absonderlicher Gegenstände vorbeischiebt. Er ist groß und gut gebaut und es würde mich nicht wundern, wenn er solch eine demütige Haltung nur selten zur Schau stellt. Na, worum handelt es sich diesmal? Todkranke Ehefrau? Verstorbener Bruder? Oder etwa eine hoffnungslose Liebe? Diese Bittgesuche kommen am häufigsten vor.

»Ich habe gehört, dass Ihr einem helfen könnt.« Er steht nun vor mir, blickt jedoch starr auf den Boden, als gäbe es dort etwas Interessanteres als mich – was ich ernsthaft bezweifelte, außer man besitzt eine Vorliebe für Schaben und Silberfischchen.

»Kommt darauf an, was ihr bereit seid zu zahlen.« Ich klappe das Buch in meinen Händen zu, lege es sorgfältig auf den Schreibtisch vor mir und drehe mich zu ihm. »Mancher Wunsch verlangt als Preis Eure Seele.«

Er schluckt schwer. Ja, das bringt die meisten zum Hadern. Seine Finger massieren die Hutkrempe. »Ich hoffe, das wird nicht nötig sein.«

»Hm.« Ich lehne mich in meinen mit Fellen bedeckten Sessel zurück, wobei mir mein übergroßer Hut leicht zur Seite kippt. Vorerst unterdrücke ich den Drang, ihn wieder zu begradigen, und sehe den Mann weiterhin durchdringlich an. Wenn er das so sagt, liegt offenbar keiner im Sterben. Zumindest niemand, den er mag. »Worum handelt es sich?«

»Ich habe einen Fehler begangen.«

Was denn? Die eigene Frau betrogen? Einen Mann ermordet? Etwas von unermesslichem Wert gestohlen? Neugierig beuge ich mich wieder vor, um einen besseren Blick in sein Gesicht zu werfen. Dabei richte ich so unauffällig wie möglich meinen Hut.

Der Mann sieht nicht aus wie ein Herzensbrecher – eher wie ein einfacher Bauer, der ein ziemlich herkömmliches Problem mit sich bringt. Gelangweilt beginne ich, die Schweißperlen auf seiner Stirn zu zählen, und warte geduldig darauf, dass er weiterspricht … drei, vier, fünf …

»Ich habe großes Unglück über mein Dorf gebracht.«

Oh. Ich höre auf zu zählen. Vielleicht doch interessanter als gedacht. Womöglich hat er einen Fürsten ermordet oder eine Rebellion gestartet.

»Vor einigen Wochen habe ich in den Bergen eine Höhle gefunden. Ich dachte mir nicht viel dabei und bin hineingegangen.« Er macht ein bedrücktes Gesicht, während er innehält.

Ich hingegen rolle enttäuscht mit den Augen und stoße einen Schwall Luft aus. Monster also. Wie langweilig. »Man geht nicht einfach in eine Höhle und denkt sich nichts dabei.«

Zum ersten Mal sieht er zu mir auf – verängstigt, als sei es für ihn der größte Schock, dass ich seine Lüge durchschaut habe. Er räuspert sich und leckt mit der Zungenspitze über die Lippen. »Verzeiht, ich wollte mich in ein weniger schlechtes Licht rücken. Ich werde nicht noch einmal lügen.«

»Gut.«

»Ich … Ein Freund hat mir von der Höhle erzählt und ich dachte, ich könnte es mit den Monstern aufnehmen.« Seine Hutkrempe ist inzwischen gänzlich in seinen geballten Fäusten verschwunden. »Aber ich war zu schwach und habe sie erzürnt. Seither suchen sie uns jede Nacht heim und wir müssen um unser Leben bangen.«

»Hm.« Ich nehme eine meiner Schreibfedern und lasse sie leise schabend über die Tischkante fahren. »Es gibt Monsterjäger, die liebend gerne diesen Auftrag übernehmen würden.«

»Das ist nicht so einfach. Die Sache eilt und ich habe gehört, wie mächtig Ihr seid.«

Also was? Du willst, dass ich die Monster töte? Ziemlich ungerecht, wie ich finde.

»Bitte. Es sind schon etliche Dorfbewohner meinetwegen gestorben. Ich kann das nicht länger ertragen.«

»Die Monster haben jedes Recht darauf, Euch heimzusuchen. Schließlich seid Ihr es, der sie zuerst erzürnt hat.«

Er sackt ein wenig in sich zusammen. »Ich weiß. Dennoch bitte ich Euch … inständig, mir zu helfen.«

»Wisst Ihr, wie die meisten Monster eingestellt sind?«, frage ich kühl und lasse die Feder auf das Holz fallen.

Er schüttelt den Kopf.

»Es sind einfache Wesen. Wenn jemand sie bedroht, werden sie nicht ruhen, bevor diese Bedrohung ausgelöscht ist.« Ich lehne mich gemächlich zurück und achte dieses Mal darauf, dass meine Kopfbedeckung an ihrem Platz bleibt. »Würdet Ihr Euch von ihnen töten lassen, wäre das Problem gelöst.«

Das Weiß in seinen immer größer werdenden Augen tritt strahlend hervor. »Aber ich möchte nicht sterben.«

Nein, natürlich nicht.

»Bitte, Ihr könnt das doch sicherlich auf eine andere Art und Weise regeln.«

»Wenn Euch Euer Fehler wirklich so leidtut, solltet Ihr dann nicht auch bereit sein, die Konsequenz dafür zu tragen?«

Wut mischt sich in seine Gesichtszüge und vor Zorn atmet er pfeifend durch die Nase. »Wenn Ihr zu schwach seid, um Euch um die Monster zu kümmern, könnt Ihr das einfach sagen.«

Menschen sind so jämmerlich. Ich spüre, wie sich schleichend ein schiefes Grinsen über mein Gesicht zieht. »Und somit habt Ihr Euer Schicksal besiegelt.«

Seine Lippen zucken, als wüsste er, dass er mich jetzt besänftigen sollte. Doch anscheinend ist sein Stolz zu groß, um mich um Vergebung zu bitten. »Ihr seid wahrlich eine Hexe!«, flucht er und stürmt aus dem Raum, wobei er dieses Mal keine Rücksicht auf die Dinge nimmt, die ihm im Weg stehen. Ich beobachte, wie ein Bücherstapel zu Boden poltert, als der Mann die Tür hinter sich zuwirft.

Magierin. Nicht Hexe.

Pudel mauzt laut auf – vermutlich erschrocken über den plötzlichen Krach. Der fette schwarze Kater schaut verärgert zu mir auf, als sei ich an alldem schuld.

»Ich war das nicht«, verteidige ich mich und hebe unschuldig die Hände.

Desinteressiert wendet er den Blick ab, räkelt sich auf dem Daunenkissen des Hockers hinter mir und schnurrt kurz darauf weiter. Das eindeutige Zeichen dafür, dass er noch nicht dazu bereit ist, sein Mittagsschläfchen zu beenden.

Seufzend erhebe ich mich und gehe zu den Büchern. Als ich die ersten heruntergefallenen Bände in meinem Schoß sammle, fällt ein Lichtstrahl auf meine ausgestreckte Hand und ich blicke überrascht zu der sich öffnenden Tür. Er ist doch nicht zurückgekommen?

Nein. Anstatt des wutentbrannten Mannes steht dort eine kleine verängstigte Frau mit braunen Kulleraugen und zuckenden Mundwinkeln. Nach kurzem Zögern eilt sie zu mir und hilft mir dabei, die Bücher aufzulesen. Derweil sagt sie kein Wort, zittert jedoch am ganzen Körper. Ich hebe das letzte Buch vom Boden auf und als ich aufstehe, um den Stapel auf einen Hocker zu stellen, greift die Frau nach dem Spitzensaum meines Kleides.

»Bitte«, fleht sie und drückt ihr Gesicht huldigend auf den schmutzigen Boden. »Bitte vergebt ihm. Er ist ein temperamentvoller Mann, der eine unnötige Menge an Stolz besitzt.«

»Dann seid Ihr seine Frau?«

»Ja, Herrin, das bin ich.« Ihre Finger umschließen den Saum noch fester und ich kann nur hoffen, dass die Nähte dieser Belastung standhalten. Mir fallen die dicken schwarzen Linien, bestehend aus unzähligen feinen Runen, auf, die die Rückseite ihrer linken Hand und des Handgelenks bedecken. Das Zeichen der Ehe. In die Haut gebrannt von einem Priester und seiner Runenmagie. Die einzige Magie, auf die wir Magier und unsere Meister keinen Zugriff haben. »Bitte, er ist alles, was mir geblieben ist. Bitte, helft uns.«

Nun, das nenne ich eine aufrichtige Ersuchung.

Ich lasse sie eine Zeit lang warten, auch wenn ich bereits eine Entscheidung getroffen habe. Nach jahrzehntelanger Arbeit ist Sympathie inzwischen eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein Ersuchender mitbringen muss. »Was bietet Ihr mir an?«

»Ich bin bereit, Euch alles zu geben.«

Wenn doch nur dein Mann schon so demütig gewesen wäre. Ich seufze. »Ihr dürft mein Kleid loslassen.«

Augenblicklich lösen sich ihre Finger, doch ihr Kopf bleibt dem Boden zugeneigt.

»Aus welchem Dorf kommt Ihr?«

»Aus Auerheim, Herrin. Das ist ein östliches Dorf in der Provinz Albach. Fürst Wieer ist unser Herr.«

Ich nicke und gehe zu einem Regal, in dem Dutzende Schriftrollen übereinandergestapelt liegen. Ich lasse die Finger darüber gleiten und ziehe eine aus der Mitte des Stapels hervor. Die hinterlassene Lücke wird augenblicklich wieder von den anderen herabrutschenden Rollen geschlossen. »Nun denn.« Mit einer schwungvollen Handbewegung rolle ich das Papier aus und lege es vor der Frau, die erst jetzt schüchtern das Haupt hebt, auf den Boden. »Die Provinz von Albach.« Mein Blick überfliegt die Karte, bis ich das Dorf entdecke und die Region nahe der Berge erkenne. »Ach, wie entzückend«, entfährt es mir. »Wird dort nicht neuerdings Erlwurz angebaut?«

»Ja, Herrin. Schon seit mehreren Jahren«, antwortet sie vorsichtig, als wüsste sie nicht, weshalb ich so erfreut über diese Neuigkeit bin.

»Ha.« Übermütig klatsche ich in die Hände. »Hervorragend.« Ich schnipse mit den Fingern und vom Tisch kommen augenblicklich eine in Tinte getauchte Feder sowie ein Papier zu mir geflogen. Ein kleiner Trick, den ich meiner Seelenenergie zu verdanken habe und der mich nicht mehr Kraft kostet, als würde ich selbst dorthin laufen und mir die Dinge holen. Allerdings dient er eher dem Effekt, da seine Reichweite auf etwa ein Dutzend Schritte begrenzt ist und der gerufene Gegenstand immer auf direktem Wege zu einem fliegt, unabhängig der möglichen Hindernisse. Elegant fische ich Feder und Papier aus der Luft. »Dann seid Ihr bereit, den Vertrag aufzusetzen?«

Sie sieht zugleich verwirrt und verängstigt aus, antwortet dennoch: »Welche Bedingungen habt Ihr?«

Ich greife nach den Schreibutensilien und lege sie auf den Boden. »Erlwurz ist ein kostbares Gewürz, wie Ihr sicher wisst. Und ich bin es leid, dafür andauernd so viel Geld auszugeben. Meine Bedingung für den Vertrag ist daher simpel: Ihr werdet mir einmal jährlich ein halbes Pfund der Wurzel zukommen lassen. Im Gegenzug bin ich bereit, Euer kleines Monsterproblem aus dem Weg zu räumen.«

Die Frau schweigt einen Augenblick lang. »Ihr verlangt dafür ein Gewürz?«

»So ist es.«

»Aber …« Die Verwirrung ist deutlich in ihrem Gesicht zu lesen. »Ich hörte, Euer Preis für eine Wunscherfüllung sei der Tod, die Seele oder …«

»Das hängt vom Wunsch ab.« Mir läuft bereits das Wasser im Mund zusammen, als ich an den lieblich-würzigen Geruch der Erlwurz denke. Nur eine Prise von ihr genügt, um jede Art von Süßspeise unwiderstehlich zu machen. »Also, was sagt Ihr?« Ich setze die Feder auf das Papier und schreibe die Vertragsbedingungen nieder.

»Das ist wirklich alles?«

»Wie Ihr sehen könnt.« Ich ziehe den letzten Strich, setze mein mit Partikelstaub durchzogenes Zeichen darunter und drehe ihr das Papier zu. Während sie das Geschriebene liest, schnipse ich erneut, um das kleine Blutmesser herbeizurufen.

Sie legt das Papier zaghaft auf den Boden und reibt sich sanft über den Arm. »Und nun?«, fragt sie leise.

»Jetzt müsst Ihr den Vertrag nur noch mit Eurem Blut besiegeln.« Ich reiche ihr das schlanke, fingerbreite Messer und beobachte, wie sie sich zögerlich in den Finger pikst.

Mit einem fragenden Blick sieht sie mich an. »Und jetzt einfach …« Sie deutet mit dem Finger auf den Vertrag. Ein dicker Tropfen Blut sammelt sich an der Spitze, bereit, jeden Moment hinabzustürzen.

Ich nicke.

Vorsichtig lässt sie die Hand hinabsinken. Vermutlich mit der Befürchtung, dass ich noch immer vorhabe, ihr die Seele zu rauben. Endlich drückt sie den roten Farbklecks in das Papier hinein und wimmert kurz auf, als dieses noch mehr Blut von ihr verlangt und an der Wunde saugt. Nachdem der Fleck die doppelte Größe erlangt hat, lässt das Papier sie frei. Sie zieht eilig die Hand zurück und starrt mich mit großen, verängstigten Augen an.

»Wunderbar.« Ich fahre mit der Hand über den Vertrag, ziehe mithilfe meines Staubes eine Kopie davon aus dessen Oberfläche und überprüfe die Gültigkeit unserer Übereinkunft. Ich nicke zufrieden und überreiche das Original der Frau. »Ihr dürft gehen. Wenn Ihr das Dorf erreicht, werdet Ihr sehen, dass Euch keines der Monster mehr heimsuchen wird. Ich rate Euch jedoch, beziehungsweise Eurem Mann, in Zukunft derartige Expeditionen in Monsterhöhlen zu unterlassen.«

Sprachlos umfasst sie das Papier. Nach einigen tiefen Atemzügen nickt sie. »Ich werde es ihm sagen.«

»Gut, dann bitte ich Euch nun zu gehen.« Beim Aufstehen klopfe ich mir den grauen Staub vom schwarzen Stoff. »Ich werde mir das erste halbe Pfund Erlwurz gleich selbst mitnehmen, in Zukunft erwarte ich jedoch, dass es mir von einem Dorfbewohner am ersten Mond des Sommers gebracht wird.«

Sie nickt kaum merklich. »Und das ist wirklich alles?«, fragt sie noch einmal.

Genervt von ihrer Skepsis verenge ich die Augen. »Vielleicht solltet Ihr lieber gehen, bevor ich es mir anders überlege.« Nicht, dass ich ohne ihr Einverständnis noch etwas an dem Vertrag ändern könnte, aber woher soll sie das wissen?

Ihre Augen weiten sich, sie steht hastig auf und macht einen kurzen Knicks, bevor sie zur Tür eilt und das Stübchen verlässt.

Ich schließe die Augen und atme tief durch die Nase ein. »Köstlich.« Noch immer läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Wenn ich mich beeile, kann ich vielleicht schon zum Abend hin meinen heißen Kakao mit der geraspelten Wurzel verfeinern.

Ich öffne wieder die Augen, hebe den Vertrag vom Boden auf und sorge mit einer lockeren Handbewegung dafür, dass er sich in schwarze Partikel auflöst und an meine Seele bindet. Derweil schnipse ich bereits mit der anderen Hand und rufe den Teleportstein herbei, der irgendwo in einer Ecke des Raumes liegen muss.

Mit lautem Gepolter kommt er aus einer Ecke angeschossen und landet in meiner Hand. Kurz vergewissere ich mich, dass nichts umgefallen ist, wobei mein Blick auf die klanglose Zimbel an der Wand fällt, die schon seit zu vielen Wochen schweigt. Ich weiß, wie schwer die Suche sein muss, aber mein Blutwichtel hätte sich schon längst wieder melden können, um mir zumindest ein Zwischenbericht zu erstatten. Einen Moment lang verziehe ich die Lippen zu einem missmutigen Strich, dann schiebe ich den Gedanken beiseite und wende mich dem durchsichtigen, linsenförmigen Stein zu.

Ein Magischer Gegenstand, für dessen Verwendung ich, dank der eingravierten Schriftzeichen in der Sprache der Zeitlosen Fürsten, kaum zusätzliche Magie aufwenden muss. Ich drehe ihn einmal zwischen meinen Fingern und knie mich hin, um ihn auf den Namen des Dorfes zu legen, zu dem ich mich teleportieren möchte.

Mit ein paar gemurmelten Worten in der Zeitlosen Sprache leuchtet augenblicklich ein mannshohes Hologramm des Dorfes auf. Mit den Händen ziehe ich das Bild auseinander, sodass schließlich nur noch der Eingang von Auerheim zu sehen ist. Die Dorfbewohner haben angespitzte Pfeiler um die Häuseransammlung aufgestellt und mit ihnen eine dichte hölzerne Mauer errichtet. Der schmale Durchgang wird lediglich von einem kläglichen Mann und seiner gekrümmten Mistgabel bewacht. Welch beängstigender Anblick. Kein Wunder, dass die sich nicht verteidigen können.

Ich schüttele meine Haare zurück und lege ein freundliches Lächeln auf. »Also dann, auf geht’s.« Mir fehlt nur noch mein geliebter Stab, Berrarg. Ich lasse den schwarzen Partikelstaub aus meinen Fingern fließen und male mit einer knappen Armbewegung die grobe Form des mächtigen Magieinstruments in die Luft.

Wenige Augenblicke später verfestigt sich der edle Zauberstab, der mich schon Jahrzehnte lang begleitet. »Blendend.« Stolz beäuge ich das uralte, dunkle Holz, um das mich jeder Magier beneidet, ziehe den Stab zu mir heran und verpasse dem inmitten knorriger Wurzeln eingebetteten Smaragd einen dicken Kuss.

»So denn.« Suchend drehe ich mich zu meinem Schreibtisch, hinter dem ich meinen noch immer schlafenden Kater vermute. »Pudel, ich bin dann mal weg. Mach derweil bitte keine Dummheiten.«

Das Schnurren wird kurz lauter.

Ich nicke zufrieden, drehe mich zum Hologramm und trete hindurch.

Kapitel 2

Ein Beben durchfährt die Erde und lässt die Luft erzittern, als ich durch die Schattendimension trete und urplötzlich vor der beklagenswerten Wache stehe.

Der Bauer jault vor Schreck auf, weicht zurück und hebt abwehrend die Mistgabel. Seine Knie schlottern unkontrolliert.

»Hallöchen«, sage ich so freundlich wie möglich und winke ihm knapp zu.

Vom Beben aufgeschreckt haben mich natürlich auch andere Dorfbewohner bemerkt und auffordernde Rufe zum Ergreifen der Waffen werden laut.

»Was seid Ihr? Und was wollt Ihr hier?«, stottert die Dorfwache.

»Vorsicht, Rob, das ist eine Hexe!«, ruft jemand aus dem mit Werkzeugen bewaffneten Mob heraus, der sich eilig auf uns zubewegt.

»Magierin«, rufe ich noch lauter dem wandelnden Werkzeugbeutel zu. »Nicht Hexe, um genau zu sein!« Ich mache einen kleinen Knicks. »Man nennt mich Ixelia, die Magierin des Nordwestlichen Rings.«

Die aufgebrachte Männermeute wird langsamer und fängt an, untereinander zu tuscheln.

»Was sucht eine Magierin in einem kleinen Dorf wie diesem?«, fragt ein älterer Herr, der den Mob anführt. Als sie in sicherer Entfernung zu mir stehen bleiben, weicht Rob ganz vorsichtig zu ihnen zurück, die Mistgabel nach wie vor auf mich gerichtet.

»Ich bin hergekommen, um einen Vertrag zu erfüllen.«

Erschrocken schnappen sie nach Luft und weichen geschlossen einen Schritt nach hinten. Der feuchte Schlamm schmatz unter ihren Füßen.

Ich rolle mit den Augen. »Keine Sorge, ich bin nicht hier, um einen von Euch zu fressen.« Ich lasse den Partikelstaub aus meinen Fingern gleiten und ziehe meine Hand eine Papierbreite lang durch die Luft. Kurz darauf halte ich den Vertrag in den Händen. »Hier, schaut.«

Die Männer zögern, bis schließlich der Alte vortritt und sich in größter Wachsamkeit auf mich zubewegt. Mit so viel Abstand wie möglich streckt er den Arm aus, um das Papier zu ergreifen.

»Wie ich hörte, habt ihr ein kleines Monsterproblem.«

Der Mann liest die Zeilen entweder sehr langsam oder mehrmals. Als er endlich wieder zu mir aufsieht, trägt er einen verwirrten Gesichtsausdruck. »Aber wer schickt Euch?«

Offenbar hat er den Vertrag nicht sonderlich gut studiert. »Unten rechts steht der Name. Unterhalb des Blutzeichens.«

Er schüttelt den Kopf und vergewissert sich. »Da steht nichts.«

Ich habe bereits meinen Mund geöffnet, um zu fragen, wie blind er denn bitte sei, als mir bewusstwird, dass mir selbst auch kein Name einfallen will. Ich ziehe ihm das Papier aus der Hand und sehe zu besagter Stelle.

Ach, verreckende Wollratte. Mit Schwung klatsche ich meine Hand gegen die Stirn. Nicht schon wieder. Wieso vergesse ich das in letzter Zeit so oft? Genervt ziehe ich meine Hand wieder hinab. »Egal, wie. Es wird hier doch sicherlich nicht viele Bauern geben, die aufgebrochen sind, um eine Magierin aufzusuchen. Also werdet Ihr schon wissen, wer es ist.«

Der Mann wendet sich den anderen zu, die entweder mit den Schultern zucken oder den Kopf schütteln.

»Könnten es etwa Raimut und Iva gewesen sein?«, fragt einer von ihnen. »Sie sind schon so lange fort. Viel zu lange, um nur nach Elstedt zu reisen.«

Dem Alten scheint ein Licht aufzugehen. »Natürlich. Die zwei sind die Einzigen, die infrage kommen.«

Erwartungsvoll sieht er mich an.

»Ich habe keine Ahnung, wie sie hießen«, erwidere ich schulterzuckend. »Nur dass der Mann seinen Fehler wiedergutmachen wollte und ich daher jetzt diese Monster beseitigen muss.« Das Stirnrunzeln des Alten lässt ein aufgeregtes Kribbeln durch meinen Körper fahren. Sag bloß, er war zu feige, ihnen zu beichten, dass er für ihr Unglück verantwortlich ist. Na, da kann er aber was erleben, wenn er wieder hier ist. »Ja, ehrlich. Er war zu Tode betrübt darüber, dass er diese Monster dazu gebracht hat, jede Nacht über Euer Dorf herzufallen.« Ich luge an ihm vorbei und beobachte die Reaktionen der Männer. Uh, einige von ihnen ballen sogar die Fäuste.

Beschwingt klatsche ich in die Hände. »Also, gut. Wer von euch hinreißenden Kerlen ist bereit, mich zu dieser Monsterhöhle zu führen, von der ich schon so viel gehört habe?« Neugierig lasse ich den Blick über die mal mehr, mal weniger hübschen Männer gleiten, während von weiter hinten aus dem Dorf ein weiterer angerannt kommt. Er steckt sich gerade das Hemd in die Hose und zieht anschließend ein Kurzschwert aus dem Heft an seinem Gürtel. Seine Schultern und der Brustbereich sind von ledernen Panzerplatten bedeckt. Sieh einer an. Da trägt ja doch jemand eine richtige Waffe. Oh, und was für ein hübscher, entschlossener Blick.

»Ich werde es tun«, ruft eine Stimme schrägt vor mir.

Erfreut drehe ich mich dem Freiwilligen zu und verziehe augenblicklich das Gesicht, als er aus dem Mob heraustritt. »Oh, nein, nein, nein.« Ich gehe näher heran, was die Männer mit erneutem Unbehagen füllt und ihre Körper leicht nach hinten verlagern lässt. »Ich sagte hinreißend. Verzeiht, aber Ihr seid nicht gerade die größte Augenweide.« Zielstrebig schreite ich an dem Alten vorbei und mustere erneut die Gesichter.

Mein Blick bleibt an dem Mann haften, der als Letzter dazukam. Wie man es auch dreht und wendet, er ist bei weitem der attraktivste von allen. »Ihr hingegen …« Ich zeige auf meinen Auserkorenen. Er ist jung, stramm und hat vorzügliche Gesichtszüge. Seine hellen, wachen Augen leuchten wie der riesige sonnendurchflutete Smaragd meines Zauberstabes und während ich in sie hineinblicke, ist es, als vernähme ich das Flüstern des Waldes. Tief und unergründlich. Sein schulterlanges, welliges braunes Haar wirkt zwar vernachlässigt, aber mit etwas mehr Mühe könnte es absolut entzückend aussehen. »Was meint Ihr? Wollt Ihr mein Begleiter sein?«

Missmutig zieht er seine vollen Augenbrauen zusammen.

»Erwin, nicht!«, erklingt die Stimme einer jungen Frau.

Ach herrje … Erwin? Wirklich? Wie kann man nur ein solches Rosenkränzchen Erwin nennen?

Die brünette schlanke Frau mit unangenehm schönen Gesichtszügen zwängt sich durch die Männermasse hindurch und schmiegt sich an ihn.

Ich stoße ein verstimmtes Gurren aus und hebe das Kinn etwas höher. »Gute Frau, ich denke nicht, dass Ihr hier irgendetwas zu sagen habt. Entweder führt mich dieser junge Mann zu der Höhle, oder aber Ihr könnt weiterhin jede Nacht um Euer Leben bangen.«

»Erwin darf nicht gehen, er muss uns hier im Dorf beschützen, falls die Monster zurückkommen. Perta hat sich doch freiwillig gemeldet, warum …«

»Weil ich es so will.« Die Bestimmtheit meiner Stimme macht sie sprachlos.

Erwin dreht sich zu der weiblichen Klette, die an seinen stattlichen Armen hängt, und streicht ihr über das widerspenstige Haar. »Helga. Es wird mir nichts passieren.«

Helga? Pfft. Warum nicht gleich Gisela oder Hildegard?

»Aber, Erwin.«

»Ich werde ihn schon nicht fressen«, sage ich mit rollenden Augen und Erwin tritt vor. Ich kann mir ein keckes Grinsen nicht verkneifen, als ich den wunderbaren Körper in voller Pracht vor mir habe. Beherzt greife ich um seinen muskulösen Oberarm und lasse anschließend einen Finger über seinen Nacken fahren. Wie schön. Während ich ihn umrunde, taxiere ich ihn mit unverschämt direkten Blicken. Als ich auf der anderen Seite von ihm angelangt bin, lege ich sanft die Hand auf seiner Schulter ab und werfe seiner Liebsten einen vielsagenden Blick zu. »Ich kann aber nicht garantieren, dass ich ihn nicht vernaschen werde«, flüstere ich gut hörbar und zwinkere ihr zu.

»Das werdet Ihr gewiss nicht«, sagt der junge Mann an meiner Seite mit knurrendem Unterton, noch bevor Helga etwas sagen kann.

Ich lächele ihn breit an. »Oh, wir werden sehen, Rosenkränzchen.« Er sieht schon wirklich zum Anbeißen aus. Eben wie eins jener Gebäckstücke, die rein zufällig hervorragend zu Erlwurz-Kakao passen. Vergnügt hake ich mich bei ihm unter, auch wenn sein Arm unangenehm steif ist. »Nun, denn. Wollen wir?«

Er dreht sich noch einmal zu Helga um und marschiert dann los, ungeachtet dessen, dass er mich dadurch mit sich zerrt und meine elegant-verführerische Inszenierung vollkommen zunichtemacht.

Ich bin jedoch nicht bereit, mir meinen kleinen Triumph nehmen zu lassen, und gebe mein Bestes, so damenhaft wie möglich mit ihm Schritt zu halten. Wir hetzen über die rotblättrigen Erlwurzfelder, folgen einem kleinen Bach, der in den Wald führt, und gelangen schließlich zu einem grauenhaft steilen Pfad.

»Ok … genug jetzt«, sage ich erschöpft und ziehe meinen Arm zurück. Er geht noch einige Schritte ohne mich weiter, bevor er sich zu mir dreht und mich mit finsterer Miene anstarrt. Es dauert zwei, drei Atemzüge, ehe ich ausreichend Luft für einen vollständigen Satz zusammenbekomme. »Was soll das? Wieso die Eile?«

»Weshalb sollte ich einen Moment länger mit Euch verbringen als notwendig?«

Puh. Warum so feindselig?

»Gebt Euch gefälligst mehr Mühe. Ich werde Euch jedenfalls nicht hochtragen.« Er dreht sich um und marschiert weiter.

Dafür, dass er eine mächtige Magierin vor sich hat, ist er aber wenig zimperlich. Mit erhobener Augenbraue blicke ich ihm nach. Was für ein anstrengender Zeitgenosse. Ein breites Grinsen zieht sich über meine Lippen. Wie spaßig. Ich befehle Berrarg, sich in Luft aufzulösen, und lasse den Partikelstaub aus meinen Händen strömen. Schon bald gleite ich, sanft und gemütlich, auf eine schwarze Wolke gebettet, an Erwin vorbei.

Entsetzt starrt er mich an, während ich mit den Fingerspitzen winkend an ihm vorüberziehe und von da an stets wenige Meter vor ihm auf meiner Wolke schwebend den Hang hinaufgleite. Mit verträumter Miene sehe ich ihm dabei zu, wie ihm der anstrengende Aufstieg Schweißperlen auf die Stirn zaubert.

Als die dicken Tropfen schließlich an seinen Schläfen hinablaufen, seufze ich mitfühlend. »Oh, Schätzchen, Ihr werdet ja immer langsamer. Ihr müsst Euch schon mehr Mühe geben, wenn Ihr schritthalten wollt.« Ich zucke mit den Achseln. »Sonst werde ich Euch noch hochtragen müssen.«

Sein bereits finsterer Ausdruck verdüstert sich weiter und ich kann mir gut vorstellen, was für Verwünschungen ihm durch den Kopf gehen. Dass er diese nicht ausspricht, bringt mich nur dazu, ihn noch mehr necken zu wollen.

Ich schlage mir die Hände vor den Mund. »Ach schaut doch, der ganze Schweiß. Nicht, dass Ihr mir noch zusammenbrecht.« Ich greife in die Partikelwolke hinein und ziehe kurz darauf ein Taschentuch hervor. »Wie wäre es mit einem Tüchlein?« Es landet in seinem Gesicht, bevor er es beiseite schlagen kann. »Oder mit noch einem?« Erneut fliegt ihm der Stoff entgegen, sodass er wild mit den Armen um sich schlägt. »Und noch einem?« Das dritte fängt er und bleibt mit knallrotem Kopf stehen.

»Werdet Ihr wohl damit aufhören!«

Ich weiß, wie frustrierend das für ihn sein muss, dennoch lache ich lauthals los, wobei ich meinen Hut festhalten muss, um diesen nicht zu verlieren. Während ich versuche, mich zu beruhigen, lasse ich den Staub wieder zurück in meinen Körper gleiten und reibe mir die Tränen aus den Augen. »Verzeiht. Manchmal kann ich es mir einfach nicht verkneifen.«

Über Erwins zusammengezogenen Brauen graben sich tiefe Furchen in die Stirn.

Was für ein überaus ernster Mann. »Also gut. Ich höre damit auf, Euch zu ärgern, und Ihr hört damit auf, mich mit diesen missmutigen Augen anzusehen.« Ich strecke ihm die Hand entgegen. »Einverstanden?«

Erwin wirft mir einen skeptischen Blick zu, doch nach kurzem Zögern nickt er, ohne mir die Hand zu reichen. »Ich werde mich bemühen.«

»Blendend.« Ich ziehe meine Hand zurück, als wäre nichts gewesen.

»Wir sollten ab jetzt leiser sein. Die Höhle ist nicht mehr weit entfernt.«

»Sagt der Mann, der eben noch rumgebrüllt hat.« Ich grinse keck.

Er hebt fragend eine Augenbraue und ich brauche einen Moment, bis ich realisiere, dass er das wohl auch schon als ärgern empfindet.

Das wird schwerer, als ich gedacht habe. Ich zucke mit den Schultern. »Entschuldigung«, sage ich betont. Er lässt sich aber auch wirklich gut necken.

Gähnend strecke ich mich und lasse den Blick umherschweifen. Scheinbar bin ich so auf Erwin fixiert gewesen, dass ich gar nicht bemerkt habe, wie sich die Landschaft verändert hat. Anstatt des Waldes umgibt uns nun felsiges Terrain und die Aussicht auf den Horizont ist atemberaubend schön. Die tiefstehende Sonne wirft ein zauberhaftes Licht auf die Felder, das Dorf, den unter uns liegenden Wald und die von grünen Gräsern überzogenen Hügel ihm gegenüber. Es ist ein wunderbarer Anblick, und dennoch stimmt etwas nicht. Ich kneife die Augenbrauen zusammen und horche in mich hinein. Das Problem liegt nicht in den Feldern oder Wiesen, sondern in den Schatten der uralten zerklüfteten Berge.

Als ich die Augen wieder öffne, mustere ich skeptisch die schroffen Gipfel.

»Was ist los?«, fragt Erwin und klingt beunruhigt.

»Ihr habt in dieser Gegend ungewöhnlich viele Monster, nicht wahr?« Das wird es wohl sein.

»Dafür ist diese Gegend bekannt. Deshalb bin ich hier.«

So eine Überraschung. »Ihr seid ein Monsterjäger?«

Er nickt.

Das erklärt zumindest seinen fantastischen Körperbau und das Schwert. Mein taxierender Blick bleibt kurz am kalten Stahl an seinem Gürtel haften.

»Warum seht Ihr mich so an? Ist das derart schwer zu glauben?«

Ich schüttele den Kopf und schaue ihm wieder in die Augen. »Ihr habt Euch also in diesem kleinen Dorf niedergelassen, weil es von Monstern heimgesucht wird?«

»Im Grunde war ich bereits dort, bevor die Monster das Dorf angegriffen haben.«

»Dann wurdet Ihr demnach wegen Helga ansässig?«

»Ich verstehe nicht, was das mit den Monstern zu tun haben soll.« Er räuspert sich und fährt sich mit der Hand über den Mund. »Aber, ja. Sie ist immerhin meine Verlobte.«

Ein Monsterjäger, der das Abenteuer sucht, lässt sich also in einem langweiligen kleinen Kaff wegen einer noch langweiligeren kleinen Bäuerin nieder. Nun, das wird nicht lange gutgehen.

»Können wir endlich weiter?«

»Eine Sache noch.« Bereits von hier aus kann ich in einiger Entfernung die Ansammlung von Monstern erspüren. »Wenn Ihr ein Monsterjäger seid, wieso habt Ihr Euch dann nicht selbst um die Biester gekümmert?«

Erwin schnaufte entmutigt. »Es ist nicht gerade leicht, eine Reißechse zu erlegen. Aber hätte Raimut noch ein paar Tage gewartet, wären weitere Monsterjäger eingetroffen, um mir zu helfen.«

Ich schlage mir erneut gegen die Stirn. »Wer ist bitte so dämlich und legt sich mit Reißechsen an?«

Erwin nimmt eine abwehrende Haltung ein. »Ich jedenfalls nicht.« Nachdenklich blickt er in die Höhe. »Auch wenn ich Raimut von den Echsen erzählt habe. Ich wäre nie darauf gekommen, dass er meine Schilderung der an sich friedfertigen Echsen damit verwechseln würde, dass sie harmlos sind.«

»Volltrottel.« Ich verziehe das Gesicht und wende mich ebenfalls dem Berg zu.

»Werden die Reißechsen ein Problem für Euch sein?«

Ich stoße ein lautes, amüsiertes Schnauben aus. »Oh, bitte, nein. Natürlich nicht. Da komme ich noch nicht mal ins Schwitzen.«

Erneut verzieht Erwin beleidigt das Gesicht.

»Ich … wollte damit nicht eure Arbeit kleinreden.« Ich zucke mit den Achseln und wir fahren mit dem Aufstieg fort.

Kapitel 3

Als die Sonne den Horizont berührt, erreichen wir den Höhleneingang. Ein großer Spalt, der sämtliches Tageslicht verschluckt und tief in den Berg hineinführt.

»Und Ihr seid wirklich stark genug?«, flüstert Erwin mir zu, als wir in die Höhle hineinlugen.

»Keine Sorge, ich bin bei weitem stärker als Ihr«, flüstere ich zurück und schmunzle amüsiert, drehe mich aber nicht zu ihm, um seine Reaktion zu beobachten. Stattdessen erspüre ich, wie viele Echsen sich im Inneren der Höhle befinden. Ich kann vier große Körper ausmachen und zwei kleinere.

Ein Zischen erklingt vom Inneren der Höhle. Offenbar haben sie unsere Anwesenheit bemerkt.

»Ihr solltet Euch besser zurückziehen.« Ich überlege derweil, wie ich die Biester am besten erlegen soll. Ich könnte sie mit einem Energieschlag hinrichten oder mit Staubklingen niedermetzeln. Nachdenklich sehe ich zu Erwin. Aber etwas Spektakuläreres, um ihn zu beeindrucken, wäre doch irgendwie netter. Ein lauter Knall mit Flammen wäre doch fein. Sowas beeindruckt Männer doch immer. »Versteckt Euch dort hinter den großen Felsen.« Ich zeige auf eine Steinansammlung ein paar hundert Meter von uns entfernt.

»Ist das wirklich notwendig?«, fragt er verunsichert.

Ich grinse unheilvoll, ziehe meinen Hut vom Kopf und drücke ihn ihm gegen die Brust. Bei der Explosion würde er mir sonst um die Ohren fliegen. »Haltet den mal kurz, ja?«

Verdattert betrachtet er die überproportionale, spitzzulaufende Kopfbedeckung, über die ich einen kurzen liebevollen Blick gleiten lasse. Der Hut mag in seinen Ausmaßen zwar überaus unpraktisch sein, aber er hat nicht ohne Grund diesen Umfang. Denn die Größe des Huts verdeutlicht die Macht eines Magiers. Und nun ja, ich habe nun mal den größten.

»Na los. Ihr wollt doch sicher so schnell wie möglich zurück zu Eurer liebsten Helga.«

Er rümpft die Nase, sieht mich anklagend an und zieht sich in die ihm zugewiesene Richtung zurück – meinen Hut ungelenk unter den Arm geklemmt.

»Also dann.« Ich strecke mich und schreite zur Mitte des Eingangs, wo ich mich mit geradem Rücken breitbeinig aufstelle. Mit einem Seitenblick vergewissere ich mich, dass Erwin die Steine erreicht hat. »Wunderbar.« Ich lege die Hände um den Mund, hole tief Luft und brülle ein lautes »Haaallo!« in den Spalt hinein.

»Seid Ihr verrückt?«, schreit Erwin mich augenblicklich an.

Grinsend drehe ich mich zu ihm. Ich spüre bereits die Vibration der auf mich zu preschenden Biester.

»Egal, wie mächtig Ihr seid: Die Säure wird sicherlich auch Euch Schmerzen bereiten!«

Welche Säure?

Just in diesem Moment bekomme ich sie zu spüren. Ein kräftiger Strahl beißender Flüssigkeit reißt mich von den Füßen und schleudert mich nach hinten. Noch während ich durch die Luft wirble, frage ich mich, seit wann Reißechsen denn bitte Säure spucken.

Ich schlage, in eine Staubwolke gehüllt, auf dem Boden auf und rolle den steinigen Hang hinab. Das Brennen ist in der Tat unangenehm, aber nichts, was ich nicht schon durchlebt hätte.

»Hexe!«, höre ich Erwin schreien und sehe aus dem Augenwinkel, wie er auf mich zu rennt.

»Magierin«, flüstere ich und drücke mich vom Boden ab.

Vor dem Höhleneingang richten sich derweil sechs Echsen auf, dessen Halskrausen ohrenbetäubend laut rasseln. Nach und nach wenden sie zuerst den Blick, dann ihre züngelnden Zungen in Erwins Richtung.

»Bleibt stehen!«, brülle ich und ich spüre in dem Augenblick, dass meine Wangen zerreißen. Huch. Verdattert blicke ich an mir herab und stellte fest, dass die Säure bereits einen Großteil der Haut von meinem Körper gefressen hat. Nun ist sie dabei, meine Muskeln und Sehnen anzugreifen. Dafür tut es jetzt aber doch erstaunlich wenig weh. Ist in der Säure etwa irgendeine schmerzbetäubende Substanz enthalten? Fasziniert betrachte ich meinen schaurig aussehenden Körper, an dem die Kleidung wunderlicherweise erhalten bleibt. Ich runzle die Stirn. Wie hat der Volltrottel das bloß überlebt?

Erwin schreckt dieser Anblick offenbar wenig ab, denn er stürmt wie ein Wahnsinniger weiter auf mich zu. Irgendwie ist es ein süßer Anblick: diese Sorge in seinen Augen, obwohl sie absolut unberechtigt ist.

Aus dem Augenwinkel erkenne ich die Echsen, die jetzt mit rasselnden Halskrausen auf Erwin losgehen. Ich empfinde Menschen zwar durchaus als lästig, dennoch bin ich nicht so herzlos, einen unschuldigen Mann direkt vor meinen Augen sterben zu lassen … zumindest nicht einen so ansehnlichen wie diesen Erwin.

Ich lasse den Partikelstaub aus meiner Seele strömen und lenkte ihn augenblicklich auf Erwin, der kurz darauf von einer sich verfestigenden Sphäre verschlungen wird. Und so wird der Angriff der Echsen zunichte gemacht. Die grün-gelbe Flüssigkeit prallt an der Kugel ab und spritzt auf die Steine, die ihr ebenfalls trotzen. Interessant. Ich blicke verschwommen an mir herab und entdecke eine immer größer werdende blutige Lache, die sich unter mir ausbreitet. Also schmelzen sie ihre Opfer, um dann den Sud von der Erde zu lecken? Sieh mal einer an, wieder etwas dazugelernt. Am liebsten wäre ich aufgestanden, aber meine Sehnen reißen bei dem Versuch mit einem lauten Knall. Das war’s dann wohl mit meiner Beweglichkeit. Bald werde ich eine Pfütze sein. Ich kann gerade noch erkennen, wie sich die Echsen mit den Klauen voran auf die Sphäre stürzen, als meine Sicht endgültig versagt und es dunkel wird.

Jetzt bin ich wenigstens von jeglicher Ablenkung abgeschirmt. In Anbetracht dieser starken Säure ist es eigentlich ein Wunder, dass erst so wenige aus dem Dorf gestorben sind. Wie sie das wohl geschafft haben? Ich gebe mir innerlich eine Ohrfeige dafür, dass ich es schaffe, mich auch ohne Ablenkung abzulenken. Jetzt konzentriere dich gefälligst auf deine Heilung.

Zuerst hülle ich mich in ein Energieschild, der mich für die Biesterchen unsichtbar macht. Dann lasse ich den Partikelstaub in die Reste meines Fleisches strömen, um die Säure zu analysieren. Nach kurzer Zeit findet er die Bestandteile heraus und beginnt, die Säure zu neutralisieren. Danach kommt der eigentlich anstrengende Teil. Während wir Magier auf die Elemente zugreifen, indem wir mit ihnen kommunizieren, funktioniert die Magie der Zeitlosen Fürsten anders. Auch wenn sie oft mit dem Element der Schatten verwoben ist, durch die sie verstärkt wird, ist ihre Magie gewissermaßen reine, ungebundene Macht. Ähnlich wie die Seelenenergie lässt sich mit ihr Übernatürliches erschaffen, jedoch in einem wesentlich größeren Ausmaß, als die eigene Seelenenergie es jemals könnte. Um auf diese reine, als Essenz in der Erde gespeicherte Macht zugreifen zu können, bedarf es jedoch Formeln. Formeln in der Sprache der Zeitlosen Fürsten, die mit absoluter Präzision gesprochen werden müssen – nicht nur mit der korrekten Wortwahl, sondern auch hinsichtlich Aussprache und Betonung. Die kleinste falsche Nuance und die Worte greifen ins Leere. Die komplexeren Formeln haben mich Jahre meines Lebens gekostet, um sie richtig zu beherrschen. Und eine jener Formeln werde ich jetzt verwenden.

Es ist kräftezehrend, einen Körper neu aufzubauen, und es wird sicherlich länger als eine Nacht dauern. Ich kann nur hoffen, dass die Echsen sich damit begnügen werden, weiterhin an der Kugel herumzuknabbern, statt die Dorfbewohner heimzusuchen, während diese davon ausgehen, dass die Gefahr gebannt ist. Egal, wie es ausgehen wird, ich kann in diesem Zustand nichts daran ändern.

Ich stoße innerlich einen langen Seufzer aus, sammele meine Kraft, spreche eine Heilungsformel in der Sprache der Zeitlosen Fürsten und beginne, mithilfe des Partikelstaubs eine Schicht säureresistenter Zellen nach der nächsten aufzutragen. Was für eine entsetzlich langweilige Nacht das sein wird. So viel zur Tasse heißer Erlwurz-Schokolade zum Abend.


 


Comments


bottom of page